Eidesstattliche Vernichtung im heißen Wahlkampf

Berlin, 19. Januar 2025. (pro) So geht heißer Wahlkampf – Sexismus, Betrug, kriminelle Energie. Alles dabei für großes Kino mit reichlich Verwicklungen. Ein Opfer gibt es bereits – nämlich den angeblichen Täter: Stefan Gelbhaar. Der grüne Bundestagsabgeordnete wurde öffentlich-rechtlich hingerichtet. Ohne mit der Wimper zu zucken.

Das ist der Stoff, aus dem feuchte journalistische Träume sind – zumindest im Boulevard. Irgendwas mit Sex. Ausgerechnet der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb), sozusagen „Hauptstadtsender“ der ARD ist drauf reingefallen. Was braucht es für einen Skandal? Einen Vorwurf, möglichst von einer Frau, eine Eidesstattliche Versicherung, noch zwei, drei „Hinweise“, fertig ist die Räuberpistole. Beendet ist eine politische Existenz. Einfach so.

Wer das Thema noch nicht kennt: Stefan Gelbhaar, seit 2017 grüner Bundestagsabgeordneter, soll einen „Kuss erzwungen“ haben, von einer „Anna K.“. Das Gerücht machte die Runde, transportiert vom rbb kurz vor der vorgezogenen Bundestagswahl. Eigentlich war Herr Gelbhaar für seinen Wahlkreis gesetzt – zog dann aber die Kandidatur zurück und jemand aus dem Umfeld von „Kanzlerkandidat“ Robert Habeck profitiert vom Listenplatz. (Der Tagesspiegel schreibt: Dass Habecks Wahlkampfmanager Andreas Audretsch davon profitiert hat – ein Schelm, der Böses dabei denkt. Er sagt: Nein! Ganz entschieden. Ob das die aufgebrachte Partei beruhigt?“)

Die „Causa Stefan Gelbhaar“ ist aber keine. Sie ist mindestens eine Causa rbb. Und eine Causa Habeck und Causa Brantner. Da ist noch Musik drin.

rbb kaltschnäuzig

Was den rbb angeht, verschlägt es einem die Sprache angesichts der Kaltschnäuzigkeit der Erklärung in eigener Sache. Ich analysiere das mal:

„Zu den Recherchen rund um den Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar nimmt der rbb wie folgt Stellung:“

„Uns ist als rbb in der Recherche ein Fehler unterlaufen. Journalistische Standards sind nicht vollumfänglich eingehalten worden. Die hinter der eidesstattlichen Versicherung liegende Identität ist von der Redaktion nicht ausreichend überprüft worden.“

Fehler in der Recherche? Wo sind die Faktenchecker beim rbb? Angeblich hat sogar das Justiziariat den Müll bedenkenlos freigegeben, der dann über den Sender ging und eine Existenz mindestens vorläufig vernichtet hat. Eine Identität nicht ausreichend zu prüfen, ist kein Fehler, dass ist ein absoluter Gau.

„Betrügerische Absicht und die kriminelle Energie, mit der unter großem Aufwand eine falsche Identität vorgespiegelt worden ist, haben dazu beigetragen, dass dieser Fehler geschah. Wir haben dies in unserer Berichterstattung am Freitag öffentlich gemacht“, sagt rbb-Chefredakteur Dr. David Biesinger.“

Was soll das mimimi? Es ist alltägliche Routine, dass an Redaktionen alle möglichen Dinge herangetragen werden, die nicht so sind, wie sie „verkauft“ werden sollen. Mutmaßlich soll die Lokalpolitikerin Shirin Kreße diese „betrügerische Absicht und kriminelle Energie“ aufgewendet haben. Zumindest berichten das andere Medien – der rbb nimmt anscheinend „Rücksicht“ auf die Frau und nennt den Namen überwiegend nicht. Frau Kreße soll ihr Amt und die Partei bereits verlassen haben. Und ein öffentlich-rechtlicher Sender lässt sich von einer bekannt „linksradikalen Lokalpolitikerin reinlegen? Habe die Ehre.

Die Berliner Zeitung schreibt: „Bei Instagram beschreibt sie sich als „autistisch ♡ links ♡ chronisch wütend“Die BZ schrieb: „Kreße gehört dem linken Flügel der Grünen an. Bei den Realos gilt sie als ‚extrem schwierig‘ und ‚Hardcore-Aktivistin‘. Sie ist Mitarbeiterin des Weddinger Abgeordneten Ario Mirzai.“

„Die Journalisten des rbb haben in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass sie mit Fehlern des eigenen Hauses journalistisch und transparent umgehen. Das gilt selbstverständlich auch für den Fall, dass die Sorgfalt der Arbeit der Redaktion infrage steht:“

Oha – bittet der rbb jetzt um Lob und Zuwendung? Was für eine Sorgfalt?

  • „Der rbb hat transparent über die offenbar nichtexistierende Anne K. berichtet.
  • Die verantwortliche Redaktion hat sich in einem journalistisch geführten, kritischen Interview gestellt, unter anderem in unserer Hauptnachrichtensendung.
  • Wir haben alle auf den Aussagen von Frau K. beruhenden Berichte von der Website genommen.
  • Wir haben Strafanzeige gegen die Person gestellt, die nach unseren Recherchen die falschen Erklärungen abgegeben hat.“

Soweit mir die Informationen bekannt sind, hat der rbb in höchster Not auf die letzte Sekunde eben noch versucht, die Form zu wahren.

Strafanzeige gegen wen, wegen was?

Kritisches Interview in der Hauptnachrichtensendung? Für das Dauergrinsen des Politikredakteurs Thorsten Gabriel allein gehört der Redakteur gefeuert. Und ein rbb-Moderator interviewt einen rbb-Politikredakteur „kritisch“? Wow. Einfach mal die drei Minuten Zeit nehmen, dann weiß man, was der rbb unter „kritischen Fragen“ versteht – hier das „Interview“.

Und Strafanzeige wegen was? Die Abgabe einer Eidesstattlichen Versicherung mit falschen Inhalten gegenüber Journalisten oder anderen Privatpersonen ist keine Straftat. Offenbar besteht auch hier Recherchebedarf für die Journalisten des rbb und Fortbildungsbedarf für den Chefredakteur Dr. Biesinger und das Justiziariat. StGB § 156:

„Wer vor einer zur Abnahme einer Versicherung an Eides Statt zuständigen Behörde eine solche Versicherung falsch abgibt oder unter Berufung auf eine solche Versicherung falsch aussagt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ (Unterstreichungen von mir)

„Einige der Fragen, die nun im Raum stehen, stellen sich auch für den rbb selbst. Der Fall ist noch nicht abgeschlossen. Derzeit analysiert der rbb den Ablauf detailliert und wird notwendige Ableitungen der Nichteinhaltung journalistischer Standards für die Zukunft daraus ziehen.“

Eidesstattliche Vernichtung

Natürlich ist der Fall noch nicht abgeschlossen. Hoffentlich nicht. Die wichtigste Frage ist: Wer muss alles beim rbb seinen Hut nehmen? Antwort: Vermutlich niemand?

Eine wichtige Frage ist auch: Was bitte bedeutet „notwendige Ableitungen der Nichteinhaltung journalistischer Standards für die Zukunft“? Solle das vielleicht „notwendige Konsequenzen wegen der Nichteinhaltung journalistischer Standards in diesem Fall und selbstverständlich für die Zukunft“ heißen?

Recherchemängel stehen den Krisenkommunikationsmängeln beim rbb in nichts nach.

Die Eidesstattliche Versicherung einer dem Sender unbekannten Person wurde zur Eidesstattlichen Vernichtung eines Menschen. Als wenn das System nicht bekannt wäre: Kachelmann, Lindemann, Assange, um nur die prominenten Namen zu nennen. Kennt man beim rbb vielleicht nicht, weil keine Berlin-Brandenburger.

Lesen Sie nochmals die „Stellungnahme“ des rbb (oben Link zum Original, hier im Text kursiv in Anführungszeichen). Fällt Ihnen was auf? Richtig: Kein Wort des Bedauerns. Keine Entschuldigung. Nur Selbstschau. Wie erbärmlich.